Macht ein Teelöffel Plastik im Gehirn krank?
Berlin - Diese Zahl ließ im Februar dieses Jahres nicht nur Wissenschaftler aufhorchen: Das Gehirn eines US-Amerikaners im mittleren Alter bestehe zu 0,5 Prozent aus Nanoplastik. Im Schnitt mache das etwa sechs Gramm aus, teilten Forscher der Universität von New Mexiko in Albuquerque mit. Die Wissenschaftler hatten in einer Autopsiestudie an Verstorbenen herausgefunden, dass sich Kunststoffpartikel im Gehirn zehn- bis 30-mal stärker ansammeln als in anderen Organen wie Leber oder Niere. Bei Demenzkranken wurden in dieser Studie noch deutlich höhere Plastikanteile im Gehirn gefunden – teilweise mehr als 30 Gramm. Innerhalb von acht Jahren waren die Werte in Leber- und Hirnproben deutlich gestiegen.
Doch was tun im Kampf gegen die weltweite Plastikflut? Darüber beraten vom 5. August an in Genf erneut Vertreter von UN-Mitgliedsländern, um ein international verbindliches Plastikabkommen auszuhandeln. Im vergangenen Jahr waren die Delegierten bei einem Treffen in Südkorea zu keiner rechtsverbindlichen Einigung gekommen. Diese soll nun bis Ende 2025 unterschriftsreif vorliegen.
Auch die Bundesregierung sitzt in Genf mit am Tisch – mit dem Ziel, „die Verschmutzung der Umwelt mit Plastik zu beenden“, wie ein Sprecher des Bundesumweltministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ mitteilt. Deshalb brauche es Kreislaufwirtschaftsmaßnahmen, „die den gesamten Lebenszyklus von Plastik, also auch Mikroplastik adressieren“. Konkretere Formulierungen sind dazu auch im Koalitionsvertrag nicht zu finden. Umweltschützer fordern seit Langem, die Produktion von Plastik drastisch herunterzufahren – unter anderem durch Verbote von Plastikzusätzen oder durch strengere Regulierungen. Auch neue Filtertechnologien in Kläranlagen oder Mikrofilter in Waschmaschinen könnten etwas bringen. In der Praxis ist es allerdings ein langer Weg.
Ein Beispiel: Auf EU-Ebene wurde bereits 2023 ein Verbot von absichtlich zugesetzten Mikroplastikpartikeln in Kosmetika, Reinigungsmitteln, Medikamenten, Farben und beim Granulat von Kunstrasenplätzen beschlossen. Unmittelbar aus dem Verkehr gezogen wurden unter anderem Mikroperlen in Peelings und loser Glitzer, der aus Mikroplastik besteht. Gleichzeitig gelten aber so viele Ausnahmen und Übergangsfristen, dass erst 2035 alle Produkte mit zugesetztem Mikroplastik verboten sind. Die Übergangsfristen sollen es den Herstellern ermöglichen, „ausreichend Zeit für die Entwicklung von Alternativen und die Umstellung der Produktion zu ermöglichen“, teilt das Bundesumweltministerium mit.
Plastik – jahrzehntelang stand dieser Kunststoff für Fortschritt. In den 1950er-Jahren wurde Plastik erstmals in Masse produziert: 1,5 Millionen Tonnen weltweit pro Jahr. Von da an ging die Produktionskurve rasant nach oben. Nach der Jahrtausendwende gab es einen weiteren gewaltigen Schub, innerhalb von 20 Jahren verdoppelte sich die weltweite Plastikproduktion noch einmal auf bis zu 460 Millionen Tonnen (2019) – je nach Berechnung. Die Folgen dieser Entwicklung sind inzwischen nicht mehr zu übersehen, auch wenn man die kleinsten Partikel eigentlich gar nicht sieht.
In den Weltmeeren treiben laut wissenschaftlichen Studien Millionen Tonnen Plastik, allerdings sind auch da die Mengenangaben so unterschiedlich, dass exakte Zahlen eigentlich nichts bringen. Das Umweltbundesamt hat vor drei Jahren über Ländergrenzen hinweg das Vorkommen von Mikroplastik im Einzugsgebiet der Donau analysiert – mit dem Ergebnis, dass es in allen Proben nachgewiesen werden konnte. Alles andere wäre aber auch erstaunlich in Anbetracht des vielfältigen Einsatzes von Mikroplastik.
Wenn die Fleecejacke gewaschen wird, können kleine Plastikpartikel in die Gewässer kommen. Mikroplastik in Kosmetik wurde bereits genannt. Eine der anteilsmäßig größten Quellen für Mikroplastik in der Umwelt ist allerdings der Reifenabrieb. Nach einer Schätzung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik im Jahr 2024 entstehen in Deutschland 60.000 bis 100.000 Tonnen Reifenabrieb jährlich, was, umgerechnet auf jeden Einwohner, im Schnitt circa 1000 Gramm pro Kopf und Jahr bedeutet. In diesem Abrieb ist auch Mikroplastik enthalten – und das lässt sich kurzfristig nicht so einfach verändern. Aber auch Plastiktüten oder Kunststoffverpackungen, die nicht im Mülleimer, sondern in der Landschaft landen, werden irgendwann zu Mikroplastik und somit zur Belastung für die Umwelt.
Doch ist diese Verschmutzung durch Mikroplastik tatsächlich gefährlich für Menschen, Tiere und Pflanzen? Umweltverbände befürchten: ja. Doch wissenschaftlich fundiert lassen sich die Risiken bislang nicht abschließend belegen, weil entsprechende Studien fehlen. Was sich jedoch sagen lässt: Mikroplastik konnte nicht nur im Gehirn, sondern unter anderem auch im Blut, in der Lunge, der Muttermilch, der Plazenta und in den Hoden nachgewiesen werden. Die kleinen Partikel werden vor allem durch die Nahrung, aber auch durch Trinkwasser aufgenommen. Die Haut spielt dabei eine untergeordnete Rolle, weil sie bei gesunden Menschen eine ganz gut funktionierende Barriere ist.
Tierversuche und Experimente an Zellkulturen deuten darauf hin, dass Mikroplastik das Immunsystem negativ beeinflussen kann, ebenso den Stoffwechsel und die Fortpflanzung, Entzündungen im Körper verursacht und das Krebsrisiko erhöhen kann. Ob das auch für den menschlichen Körper zutrifft, diese Frage können Forscher bislang allerdings nicht seriös beantworten. Weitere Erkenntnisse dazu werden nach Angaben der Wissenschaftsplattform Science Media Center für die kommenden fünf bis zehn Jahre erwartet.
Das Bundesamt für Risikobewertung kam aber bereits zu dem Schluss, dass von Mikroplastik im Trinkwasser keine gesundheitlichen Risiken für Menschen ausgehe, auch wegen der Größe der Partikel. Als gefährlicher gelten ohnehin noch kleinere Plastikpartikel, weil sie leichter in den Körper, in die Organe und Zellen eindringen können. Doch auch beim Nanoplastik müssen die Folgen für den Menschen noch besser erforscht werden.
Was die Wissenschaft zudem umtreibt: Hat sich Plastik einmal über die Flüsse in die Ozeane verbreitet, wird es dort wohl auch bleiben. Denn auch wenn die Bilder von großen Müllstrudeln im Meer einen anderen Eindruck erwecken: Nach Schätzungen sind etwa 70 Prozent des Plastikmülls gar nicht sichtbar, weil er auf den Meeresboden gesunken ist oder eben als Kleinstteilchen durchs Wasser schwebt. Wie Plastikmüll und Mikroplastik wieder entfernt werden könnten, ohne dabei den Meeresbewohnern zu schaden - auch das ist eine offene Frage.